Special Nr. 7: Die Bestseller-Serie
Einleitung
Im Jahre 1983 bäumte sich der Hörspiel-Gigant EUROPA in einer Art Befreiungsschlag noch einmal zu voller Größe auf: über die Produktion von bloßen Kinder- und Jugend-Hörspielen hinaus begann man mit dem Versuch, den Markt der erwachsenen Käuferschicht zu erobern.Neben Perry Rhodan, Edgar Wallace, Macabros, Sherlock Holmes, Larry Brent und einigen anderen erschien bei EUROPA unter dem Schlagwort "Hörspiele für Erwachsene" dann auch eine zehnteilige Serie von Cassetten, deren jeweiliger Vertonung ein Roman aus dem weiten Bereich der Belletristik zugrunde lag. Diese kleine Reihe firmierte unter dem Logo Bestseller-Hörspiele. Nur aus dem Text des Inlays und der typisch-gelben Farbe des Cassettengehäuses selbst ergab sich, daß auch hier das Haus Miller am Werke war. Sämtliche Produktionen standen unter der Regie Heikedine Körtings und basierten auf Hörspielfassungen von H.G. Francis.
Ebenfalls unter dem Logo Bestseller-Hörspiele erschienen zehn Folgen, die aus Abmischungen der Fernsehserie "Dallas" bestanden. Da es sich hier um bloße Übernahmen der Originalsynchronisation handelt, denen zur Verbindung der einzelnen Szenen lediglich ein Erzähler beigemischt wurde, sollen diese zehn Folgen hier keine Rolle spielen.
Die erstgenannten zehn Folgen der Serie ließen keine Untiefe der Trivialliteratur aus: Heinz G. Konsalik, Erma Bombeck, Marie Louise Fischer und Utta Danella - Herz, Schmerz, Terz. Es wäre jedoch gelogen, zu behaupten, daß diese Produktionen keinen Unterhaltungswert besäßen: solange man bereit ist, sich auf das jeweilige Sujet einzulassen, kann man durchaus mit einem gewissen Hörvergnügen rechnen.
Das liegt nicht zuletzt an der Sprecherriege, welche alle großen Namen versammelt, die jemals bei EUROPA gewirkt haben: Pinkas Braun, Horst Frank, Claus Wilcke, Judy Winter, Volkert Kraeft, Uwe Friedrichsen, Manfred Steffen, Ursela Monn, Karin Anselm, Horst Janson, Günther Ungeheuer und so weiter, und so weiter. Ganz zu schweigen vom Stammensemble wie Gottfried Kramer, Wolfgang Draeger, Henry Kielmann, Joachim Wolff, Katharina Brauren, Douglas Welbat und Gisela Trowe. Auch diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Heute zu Phantasiepreisen gehandelt, schien der Serie damals (1983) kein Erfolg beschieden gewesen zu sein: mehr als diese zehn Folgen, die alle gleichzeitig veröffentlicht wurden, kamen nie ans Kaufhauslicht. Dabei hatte man sich solch große Mühe mit der Edition gegeben: alle Cassetten erschienen jeweils in einer ca. DIN A5-großen Pappschachtel, welche die Aufmerksamkeit der Käufer steigern sollte. Reißerische Texte und ein eigener Pappaufsteller für diese Reihe unterstützten dieses Ziel. Der Kaufpreis lag bei 10,--DM.
Ich habe aus Gründen der Übersichtlichkeit darauf verzichtet, eine komplette Sprecherkorrektur aufzulisten, ja, sogar die gesamte Besetzungsliste wiederzugeben. Letztere umfaßt oft mehr als 20 Rollen und es würde den Rahmen dieses Specials sprengen, hier entsprechend erschöpfende Arbeit zu leisten.
[1] Heinz G. Konsalik: Der Leibarzt der Zarin
Die Cassette hält echte Höhepunkte bereit: Gisela Trowe ist eine lüsterne Zarin, von der man sich nicht vorstellen kann, daß sie irgendwann einmal bekleidet erscheint, Gottfried Kramer ist natürlich Iwan der Schreckliche, der den Arzt auffordert, sich doch mal anzuschauen, wie man eine Zarin richtig befriedigt (was dann auch als Quickie im Hörspiel zu hören ist) und Herr Dr. Beurmann versucht unbekümmert wie eh und je, den minderjährigen (!) Zarewitsch zu sprechen. Dazwischen tummeln sich Ernst von Klippstein und Katharina Brauren und haben die undankbare Aufgabe, etwas Rußlandstimmung zu erzeugen. Die Musik liefert Peter Tschaikowsky, der für dieses Hörspiel eigens ein paar Symphonien komponierte. Tja, viel Spaß für 10,--DM.
Bestellnummer: 551.001.5
[2] Heinz G. Konsalik: Fronttheater
Was wirklich Spaß bei diesem Hörspiel macht, ist die Anzahl der Personen. Auch nach mehrmaligem Hören muß ich mir noch immer eine Strichliste machen, wer mit wem verlobt oder befreundet ist. Hinzu kommt die etwas verunsichernde Idee, ständig "Les Preludes" von Franz Liszt als Zwischenmusik zu benutzen. Die Idee hatte man damals im Dritten Reich auch und brachte sie immer zur Untermalung der Siegesberichte von der Ostfront. Sehr stilecht also, diese Produktion.
Bestellnummer: 551.002.3
[3] Erma Bombeck: Nur der Pudding hört mein Seufzen
Und genau hier wird die unüberbrückbare Kluft zwischen der Unterhaltungsliteratur und dem Anspruch, Inhalte vermitteln zu wollen, mehr als deutlich: während der Hörer 50 Minuten lang durch den chaotisch-fröhlichen Haushalt der Familie geschaukelt wird, endet das Hörspiel in einer Katerstimmung. Und zumindest ich für meinen Teil stecke die Cassette immer in dem Gefühl ins Regal zu zurück, dass es schrecklich sein muß, Mutter oder Vater zu sein. Denn letzten Endes droht einem doch nur der Verlust der Kinder.
Im übrigen lernt der Hörer die gesamte Ouvertüre zu Johann Strauß' Operette "Die Fledermaus" in kleinen Häppchen kennen. Wer auch immer am Mischpult saß: er hatte offensichtlich nur dieses eine Musikstück zur Untermalung zur Verfügung, sieht man von ein oder zwei kleinen Ausnahmen ab.
Bestellnummer: 551.003.1
[4] Heinz G. Konsalik: Wer stirbt schon gerne unter Palmen
Die Grundidee der Handlung ist gar nicht mal schlecht, aber zu schnell verliert sich die Geschichte in den endlosen Diskussionen über das Ob und Wenn des geschehenen Mordes. Dabei kann man die eintretende Ermüdung weder dem Hörspiel als solchen noch den Sprechern vorwerfen, nein, meines Erachtens liegt es vielmehr an Konsalik, der eine gute Idee ausbluten läßt. Aber man muß zugeben, dass die Cassette wirklich unterhalten kann, Kramer und Friedrichsen machen es möglich.
Bestellnummer: 551.004.0
[5] Marie Louise Fischer: Zerfetzte Segel
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Der erste Einbruch in der netten Bestseller-Reihe. Anfangs hofft der engagierte Hörer immer noch, der Kreis der Verdächtigen bleibe übersichtlich, aber die Personenliste sprengt die von Ali Baba und den 40 Räubern. Auch verliert sich das Hörspiel in Nebenhandlungen: drogenverkaufende Ärzte, verrückte Maler und Stammtischphilosophien über den Sinn des Lebens sind da nur einige deplazierte Zutaten.
Monika Gabriel wirkt leider - man muß es sagen - zu unbeteiligt, um den Hörer wirklich mitfiebern zu lassen. Im Gegenteil: manchmal packt einen der Ärger darüber, dass die gute Dramaturgin alle Freunde und Bekannten Sybills ausfragt und bedrängt.
Bestellnummer: 551.005.8
[6] Will Berthold: Nachts, wenn der Teufel kam
Jürgen Thormann bewährt sich hier als Erzähler, und wenn er auch manchmal etwas zu dick aufträgt, so gibt seine Leistung der Geschichte ein stabiles Korsett. Claus Wilcke überrascht mit einer unglaublich dichten und bedrückenden Darstellung des "doofen Bruno": debil, bauernschlau, gefährlich und letzten Endes - bedauernswert. Erst ein Täter, dann das Opfer. Sein Tod am Ende des Hörspiels geht einem nah: der Mord an ihm ist grausamer und menschenverachtender als alle Taten Brunos selbst. Beeindruckend auch Günther Ungeheuer, der in einen kleinen Rolle als SS-Offiziers mit wenigen Sätzen eine Bedrohlichkeit ausstrahlt, die wie eine bleierne Glocke das Hörspiel umgibt. Douglas Welbat - damals EUROPA-Neuling - hat die dankbare Aufgabe, den unermüdlichen Polizeibeamten Franz zu spielen, und auch er überzeugt. Nach meinem Dafürhalten ist dieses Hörspiel der Höhepunkt der Bestseller-Reihe.
Bestellnummer: 551.006.6
[7] Will Berthold: Madeleine, Tel. 13 62 11
War man bei "Nachts, wenn der Teufel kam" noch bereit, den Hut vor Herrn Berthold zu ziehen, so bereut man diesen Entschluß bereits nach den ersten 10 Minuten dieses Machwerks. Es gibt wirklich kaum etwas, was nicht an den Haaren herbeigezogen ist. Ein kleiner Lichtblick ist Frau Trowe, die als einzige ihre Rolle auszufüllen vermag. Ursela Monn ist so verführerisch wie eine Zeitansage und Astrid Kollex nutzt jede Gelegenheit, um den eklatanten Widerspruch zwischen ihrem Ausdruck und ihrer Rolle herauszustellen. Entweder war das Regiepult bei den Aufnahmen zu dieser Produktion nicht besetzt oder man hoffte, auf die Qualität von Folge 7 dieser Reihe käme es nicht mehr an ...
Bestellnummer: 551.007.4
[8] Utta Danella: Der Schatten des Adlers
Das Hörspiel schrammt nur knapp an einer schlechten Bewertung vorbei. Die Geschichte ist dürftig, wenngleich die Wohnzimmerszenen bei Mutter Jarisch (Marianne Kehlau) nett klaustrophobisch-spießig wirken. Und die meisten Sprecher der Nebenrollen geben sich alle Mühe, ihren Charakteren etwas Leben zu verleihen, allen voran Frau Kehlau (wie immer, möchte man fast sagen) und Helmut Zierl (als flügellahmer Liebhaber). Gottfried Kramer in einer kleinen Nebenrolle als Wirt ist so österreichisch wie Matjes mit Bratkartoffeln und Stippe, aber allemal unterhaltsam. Die beiden Sprecher der Protagonisten (Volkert Kraeft und Ruth Niehaus) entgehen nur knapp einem Debakel, was angesichts der seltsamen Handlung erklärbar, aber nicht entschuldbar ist.
Bestellnummer: 551.008.2
[9] Ephraim Kishon: Paradies neu zu vermieten
Leider völlig unpassend ist die beigemischte Musik, die wohl jiddisch klingen soll, sich aber immer anhört, als verbringe man einen Abend auf der Alm. Letzteres ist allerdings nicht so störend, als daß man sich bei entsprechender finanzieller Ausstattung nicht ein Exemplar dieses Hörspiels zulegen sollte.
Bestellnummer: 551.009.0
[10] Barbara Noack: Der Bastian
Horst Janson und Karin Anselm brillieren in einem wirklich guten Aufguß der Fernsehserie, sind ganz offensichtlich aufeinander eingespielt und ergänzen sich hervorragend. Etwas störend erzählt Ruth Niehaus, die nicht die Einfühlsamkeit mitbringt, um das dezent gestaltete Spiel der Protagonisten zu stützen. Gar nicht mal schlecht in einer kleinen Nebenrolle: Joachim Wolff als Chefarzt.
Auch hier ließ sich Peter Tschaikowsky überreden und komponierte eine passende Hintergrundmusik, die er dann noch einmal in seinem ersten Ballett "Schwanensee" verwandte.
Bestellnummer: 551.010.4
Appendix
Als Schmankerl gab es zu dieser kleinen Serie eine Werbecassette, in der Horst Frank und Pinkas Braun die einzelnen Folgen vollmundig anpreisen, mit ihren eigenen Namen Werbung machen und einem das Gefühl vermitteln, das Lebensziel verpaßt zu haben, wenn diese Produktionen im heimischen Cassettenregal fehlen. Kleine Ausschnitte der Aufnahmen (schlecht ausgesucht und miserabel ein- und ausgeblendet) sollen offenbar den entscheidenden Kaufimpuls geben. Vielen Dank für diese Selbstbeweihräucherung, erst diese Cassette macht die Bestseller-Sammlung komplett!Fazit
Trotz aller Kritik kommt man nicht umhin zu sagen, daß diese kleine Reihe schon repräsentativ dafür ist, wie EUROPA einmal Hörspiele produziert hat: Sicherlich wurde nur selten Weltliteratur verarbeitet und das Endprodukt Hörspiel kam auch nie in den Verdacht, internationale Preise gewinnen zu können. Aber seien wir mal ehrlich: wie oft tragen wir Kleidung von Versace und Dior, essen á la Bocuse oder wohnen im Hotel "Vier Jahreszeiten"? Unser Alltag sieht ganz anders aus, und für diesen Alltag waren und sind diese Hörspiele eine wirklich nette Unterhaltung.Marcus Ebeling