Das Gespenst vom Schloßhotel
mit
Das Schloß des Grauens

"Das Gespenst vom Schloßhotel" erschien zunächst 1976 als Einzelhörspiel; wurde dann fünf Jahre später für die H.G.Francis- Gruselserie bearbeitet und dort als Nummer 4 mit dem etwas reißerischeren Titel "Das Schloß des Grauens" erneut veröffentlicht.
Klar erkennbare Unterschiede zwischen beiden Versionen:
• In der neueren Version, "Das Schloß des Grauens", fehlt Ullas Schlußsatz. Ob dies aus technischen Gründen (die Schlußmusik wurde ausgetauscht) geschah, oder ob man dem Hörer diesen letzten erzählerischen Kniff der Einfachheit halber ersparte, ist unklar. Schade ist es auf jeden Fall.
• Für "Das Schloß des Grauens" wurden diverse (aber nicht alle) Musiken ausgetauscht. Spannende Szenen, die in "Das Gespenst vom Schloßhotel" alleine auf das durch den Dialog vermittelte Geschehen aufbauten, wurden zusätzlich mit Melodiebögen angereichert. Brach der Bibliothek-Dialog am Ende der ersten Seite einfach ab ("Wo ist meine Linda?") und wurde er auf der zweiten Seite unmittelbar fortgesetzt ("Soll das alles bedeuten ..."), so finden sich im "Schloß des Grauens" Musiken zur Kennzeichnung des Endes bzw. des Anfangs der Szene. • Außerdem wurden die Stimmen an den meisten Orten im Schloß nachträglich mit Hall versehen.

Die Transkription

Musik

Auto nähert sich, bremst
Autotüren
Schritte

ULLA: Das ist das Schloßhotel?
BENNO: Ja, sicher ist es das. Eine Verwechslungsmöglichkeit gibt es wohl nicht.

Benno klopft an die Tür (Ring)

BENNO: Warum öffnet denn keiner?
ULLA: Es ist nach Mitternacht, Benno, die schlafen schon alle!
BENNO: Also, bei diesem Wetter fahr' ich nicht mehr weiter. Es fängt ja gleich zu regnen an.
ULLA: Bißchen unheimlich ist es hier. Findest du nicht auch?

Klopfen

BENNO: (atmet aus)
ULLA: Ah, da geht Licht an! Endlich!
BENNO: Na, das wird aber auch Zeit!
ULLA: Es ist nach Mitternacht, vergiß das nicht!
BENNO: Für ein Hotel sollte auch das nicht zu spät sein!

Tür öffnet sich knarrend

BENNO: Guten Abend.
WAGNER: Was ist?
BENNO: Na, Sie machen mir Spaß! Können wir hier übernachten?
WAGNER: Nein.

Die Tür wird wieder knarrend zugeschoben

WAGNER: Das Hotel ist geschlossen.
BENNO: Halt, halt! Schließen Sie die Tür noch nicht!
WAGNER: Sie können hier nicht schlafen!
BENNO: Nun mal langsam! Wo sollen wir denn hin? Hier gibt es im Umkreis von 50 Kilometern kein Hotel außer diesem!
WAGNER: Das weiß ich.
ULLA: Wir stellen keine großen Ansprüche! Sie brauchen sich nicht um uns zu kümmern.
WAGNER: Das ist mir egal! Versuchen Sie es woanders!

Tür wird geschlossen
Schritte
Autotüren
Benno versucht zweimal, den Wagen zu starten

BENNO: Hach, auch das noch.
ULLA: So ein dämlicher Kerl!
BENNO: Der Motor springt nicht an. Das hat uns gerade noch gefehlt!
ULLA: Was machen wir denn nun?
BENNO: Tja ... ich frag' diesen häßlichen Gartenzwerg noch einmal.
ULLA: Na, häßlich ist er wirklich. Ich habe noch nie einen so häßlichen Menschen gesehen. Man kann direkt Angst vor ihm haben.
BENNO: (lacht auf) Normalerweise werden sie den irgendwo verstecken, damit die Gäste nicht die Flucht ergreifen.
ULLA: Warum springt denn der Wagen nicht an?
BENNO: Das weiß ich auch nicht, zum Teufel! Also ich frag' den Kerl noch mal, ob er nicht irgendwo 'n Plätzchen für uns hat.
ULLA: Oh nein, Benno ... ich hab' Angst ...
BENNO: Nun mach' dich doch nicht lächerlich.

Benno steigt aus
Es regnet
Schritte
Benno rüttelt am Ring

BENNO: Nun beeil' dich schon, Alter, es regnet! Und ich hab' keine Lust, auch noch naß bis auf die Haut zu werden!
WAGNER: Was wollen Sie denn noch?
BENNO: Der Motor springt nicht an. Wir können nicht weg von hier!
WAGNER: (knurrt)

Tür wird geöffnet

WAGNER: Kommen Sie rein!

Tür wird geschlossen

BENNO: Ein Sauwetter ist das!
WAGNER: Sie können wirklich nicht hier schlafen!
BENNO: Es muß doch irgendeine Möglichkeit geben! Wir können doch nicht im Auto übernachten!
WAGNER: Nein, das nicht.
BENNO: Na also! Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß. Nehmen Sie wenigstens Rücksicht auf meine Frau!
WAGNER: Na ja, wenn Sie unbedingt wollen ... ich könnte Ihnen Decken geben. Sie müßten dann auf einer Couch schlafen.
BENNO: Das würde uns vollkommen genügen! Warten Sie, ich hole meine Frau!

Tür wird geöffnet
Regen / Wind

BENNO: (ruft) Ulla? Es geht doch! Nun komm schon!

Schritte
Tür wird geschlossen

BENNO: Der Alte gibt uns so 'ne Art Notlager.
ULLA: Wo ist er denn?
BENNO: Er wird uns Decken besorgen.
ULLA: Es ist eigentlich ganz hübsch hier! Alles so schöne alte Möbel ...
BENNO: Von einem Schloßhotel muß man ja auch einiges erwarten können! - (atmet aus) Wo bleibt denn der Alte nur? Ich seh' mal nach!
ULLA: Oh nein, Benno, bleib' hier, bitte ...
BENNO: Ja, aber warum denn? Das ist doch keine Räuberhöhle!
ULLA: Ich ... ich habe Angst ...
BENNO: Unsinn, wovor denn ... (lacht) Oder glaubst du, daß es hier spukt? (bedrohlich) Mitternacht ist vorbei, die Geister kommen, Dracula wetzt seine Zähne, um sie hurtig, hurtig in einen schneeweißen Mädchenhals zu graben! (lacht)
ULLA: Also, ich finde das überhaupt nicht witzig!
BENNO: (lacht) Ich schau mal nebenan nach.

Seltsame Geräusche ertönen

ULLA: Was ist das? Da kommt doch jemand! Ich ... (ruft) Nein! Benno! Benno! Oh mein Gott!
BENNO: Ja, was ist denn, Ulla?
ULLA: Mein Gott, Benno ... da war etwas ...
BENNO: Wo denn ...
ULLA: Eine Erscheinung, ein Gespenst, ein ...
BENNO: Ach ...
ULLA: Ein - irgend etwas Unheimliches, Bedrohliches ...
BENNO: Ja, aber wo denn?
ULLA: Da, bei der Treppe! Ich hab' es ganz deutlich gesehen.
BENNO: Jetzt willst du Witze machen, was?
ULLA: Nein nein, ich schwöre dir, es war wirklich da! Es war da, bei der Treppe! Ich konnte es nicht deutlich erkennen, weil es da so dunkel ist.
BENNO: Na ja, und wo ist es jetzt? Hat sich in Luft aufgelöst, hm? (lacht) Komm, du bist müde, Schatz!
ULLA: Nein, so müde bin ich nun auch wieder nicht.

Schritte

ULLA: Nein, Benno ... bleib hier, geh nicht zur Treppe, bitte!
BENNO: Aber hier ist nichts, absolut nichts, was nicht in Ordnung wäre! Ich versteh' nicht, wieso - (schreit)

Rumpeln

ULLA: Benno, wo bist du!? Da ist eine Falltür! Er ist durch eine Falltür gefallen!
GEORG: (von fern) Wo ist Linda ...?
ULLA: Die Erscheinung!
GEORG: (kommt näher) Linda ...!
ULLA: Nein ... Hilfe! Ich will nicht!
GEORG: (atmet)
ULLA: Faß mich nicht an! Bleib, wo du bist! - Nein! (keucht)

Schnelle Schritte

ULLA: Die Tür ist verschlossen! Hilfe! Hilfe, ist denn hier niemand!

Ulla klopft an die Tür
Tür geht knarrend auf

WAGNER: Was ist los?
ULLA: Sie sind es ... Gott sei Dank! Ich dachte schon, ich sei ganz allein!
WAGNER: Ich hab' nur Decken geholt. Für Sie und Ihren Mann. Wo ist er denn?
ULLA: Er ist durch eine Falltür gestürzt, dort bei der Treppe!
WAGNER: Ach, hier gibt es keine Falltüren!
ULLA: Doch, doch! Bei der Treppe ist eine!
WAGNER: Das müßte ich wohl wissen! Ich lebe seit vierzig Jahren hier!
ULLA: Seien Sie vorsichtig! Sonst fallen Sie auch noch hindurch!

Wagner betätigt die Falltür und schiebt die Klappe hin und her

WAGNER: Tatsächlich. Die Stufe gibt nach! (lacht) Wenn Sie mich nicht gewarnt hätten, dann, äh ... Ich versteh' das nicht.
ULLA: Sie wußten wirklich nichts davon?
WAGNER: Natürlich nicht! - Warten Sie. Ich leg' mich auf den Bauch und drücke die Tür auf!

Klappern

WAGNER: Gehen Sie zurück!

Klappern

WAGNER: Da ist ein Schacht! - Hallo? Hallo!? Wo sind Sie denn?!
ULLA: Benno! Hörst du mich?
WAGNER: Er antwortet nicht. Ich werde mal nachsehen, da unten. Vielleicht kommt man vom Weinkeller her an den Schacht heran.
ULLA: Ich gehe mit Ihnen.
WAGNER: Sie? Warum denn?
ULLA: Ich bleibe nicht hier! Ich bleibe nicht allein, keine Sekunde!
WAGNER: Wie Sie wollen ... Ah! Sehen Sie hier! Man kann die Falltür verriegeln! Der Stift hatte sich gelöst!

Klicken

WAGNER: Ah, jetzt sitzt er wieder fest. Es kann nichts mehr passieren.
ULLA: Wo geht es zum Keller?
WAGNER: Hier.

Schritte

WAGNER: Kommen Sie!
ULLA: (zögert) Ich ...
WAGNER: Was ist denn, junge Frau? Warum kommen Sie nicht?
ULLA: Ich weiß nicht ...
WAGNER: Dann bleiben Sie hier. Ich gehe allein.
ULLA: Ich komme schon ...

Schritte, Tür wird geöffnet, Schritte

WAGNER: Hier ist der Weinkeller.
ULLA: Es ist ... es ist kalt hier.
WAGNER: Sie hätten ja oben bleiben können.
ULLA: Da hinten muß der Schacht irgendwo sein.
WAGNER: Da ist eine Tür. Seltsam. Die habe ich noch nie gesehen. - Sie ist verriegelt! Ich muß eine Axt holen!
ULLA: Oh nein, bleiben Sie!
WAGNER: Ich muß die Tür aufbrechen! Die Axt steht da hinten! Ich bin gleich wieder da.

Musik

WAGNER: Hier ist die Axt ja schon. (lacht) Beim alten Wagner hat eben alles seinen Platz! (lacht)
ULLA: (erschrickt, schreit auf)
WAGNER: Was ist denn? Warum weichen Sie vor mir zurück?
ULLA: Ich ...
WAGNER: Sie stehen direkt vor der Tür! So kann ich sie nicht öffnen!
ULLA: Entschuldigen Sie ...
WAGNER: (lacht) Sie haben doch nicht etwa Angst? Angst vor dem alten Wagner? (lacht spöttisch und schaurig)

Musik

Wagner bricht mit einigen Hieben die Tür auf

WAGNER: So! Jetzt ist die Tür auf!
ULLA: Benno!
WAGNER: Da ist er ja. - Halten Sie sich gut fest, junger Mann!
BENNO: Was meinen Sie, was ich die ganze Zeit tue!
ULLA: Aber warum hast du dich denn nicht gemeldet?
BENNO: Das habe ich ja, aber über mir ist noch eine zweite Falltür! Durch sie habt ihr mich nicht gehört.
WAGNER: Kommen Sie, ich helfe Ihnen.

Wagner zieht Benno hoch.

WAGNER: So ...
BENNO: Glücklicherweise konnte ich mich an einer der Eisensprossen festhalten, sonst wäre ich noch viel tiefer gefallen!
WAGNER: Es ist ja nichts passiert.
BENNO: Ein feines Hotel ist das! Kosten die Falltüren etwas extra?
WAGNER: Ich wollte Sie nicht hereinlassen! Sie wollten ja unbedingt bleiben. Haben Sie das vergessen?
BENNO: Wer rechnet denn mit solchen Tücken?
WAGNER: Sie können ja wieder gehen!
BENNO: Wir bleiben natürlich!
ULLA: Also - ich bleibe nicht, auf gar keinen Fall!
BENNO: Wir haben keine andere Wahl, so lange der Motor nicht anspringt!
ULLA: Du könntest es doch noch einmal versuchen ...!
BENNO: Wir bleiben! Ich hol' nur eben noch 'nen Koffer.
ULLA: (seufzt)

Schritte
Tür
Regen

ULLA: Versuch' es doch wenigstens, Benno, bitte ...!

Ein Wagen nähert sich

BENNO: Da kommt ja noch 'n Wagen! (lacht auf) Jetzt wird das Hotel doch noch voll!

Der Wagen hält mit Vollbremsung

FRAU BENTIEN: Das ist ja ein fürchterliches Wetter!

Tür schließt sich knarrend

FRAU BENTIEN: Guten Abend!
BENNO UND ULLA: Guten Abend!
FRAU BENTIEN: Kann ich hier schlafen? Wer von Ihnen ist für das Hotel zuständig?
WAGNER: Das bin ich. Sie können ein Notlager haben, mehr nicht.
FRAU BENTIEN: Ein Notlager, wie soll ich das verstehen? Wieso bieten Sie mir ein Notlager an?
WAGNER: Wenn Ihnen das nicht paßt, müssen Sie woanders übernachten!
FRAU BENTIEN: Das ist doch -
BENNO: Das Hotel ist geschlossen! Herr Wagner ist daher nicht darauf eingerichtet, Gäste aufzunehmen.
FRAU BENTIEN: Na, wenn das so ist, bin ich selbstverständlich einverstanden.
BENNO: Bitte zeigen Sie uns, wo wir schlafen können.
WAGNER: Oben. Kommen Sie mit.

Wagner und Frau Bentien gehen los / Schritte

FRAU BENTIEN: Da hab' ich ja wohl noch mal Glück gehabt! Mein Name ist Bentien. Ich wollte hier irgendwo in der Nähe Urlaub machen.
ULLA: Ich werde kein Auge zukriegen, Benno.
BENNO: Warte es ab, die Geisterstunde ist vorbei! Heute nacht passiert bestimmt nichts mehr!
ULLA: Hoffentlich behältst du recht!

Musik

Schritte

BENNO: Guten Morgen, Herr Wagner!
WAGNER: Morgen!
BENNO: So, der Wagen springt wieder an. Die Zündung war wohl naß geworden. Aber jetzt ist alles in Ordnung. Wir können wieder abfahren. - Äh, wo ist denn meine Frau?

Schweigsame Pause

WAGNER: (knurrt) Wollen Sie kein Frühstück?
BENNO: Nein, nein, danke. Machen Sie sich keine Mühe.
ULLA: Benno ...!
BENNO: Ah, da bist du ja schon, Liebling! So, wir können starten!
ULLA: (lacht auf) Das ist die beste Nachricht, die ich je bekommen habe!
BENNO: Auf Wiedersehen, Herr Wagner! Und vielen Dank auch!

Schritte
Tür

WAGNER: (knurrt)

Musik

Im fahrenden Auto

ULLA: Ich hätte es keine zehn Minuten länger im Hotel ausgehalten. Natürlich habe ich keine Sekunde geschlafen.
BENNO: (Mitleid heischend) Oh ...
ULLA: Ja, dieser alte Mann ist mir unheimlich. Er hat mich immer so eigenartig angesehen.
BENNO: Ach was!
ULLA: Und dann diese Erscheinung!
BENNO: Ulla, bitte!
ULLA: Du glaubst mir nicht? Ich habe mich nicht geirrt! Ich habe dieses geisterhafte Wesen zweimal gesehen!
BENNO: (lacht)
ULLA: Ja, es kam ganz nah an mich heran und hat versucht, mich zu berühren! Und ich habe seine Stimme gehört!
BENNO: Aber wer glaubt denn in unserer Zeit noch an so was?
ULLA: Ich schwöre dir, daß ich -
BENNO: Ach, das waren deine überreizten Nerven. Überleg' doch mal, Liebling, Geister -
ULLA: (erschrickt) Vorsicht! Vorsicht, die Brücke! Die Brücke ist weg, Halt! Halt!

Vollbremsung

BENNO: Das ist gerade noch mal gut gegangen!
ULLA: Beinahe wären wir in die Schlucht gestürzt.
BENNO: Ja, viel hat wirklich nicht gefehlt.
ULLA: Bitte, fahr' ein Stück zurück. Müssen wir denn unmittelbar am Abhang stehenbleiben ...
BENNO: Natürlich nicht.

Benno fährt den Wagen zurück

BENNO: So, ich werd' mal aussteigen.
ULLA: Wo willst du hin?
BENNO: Ich will mir das mal aus der Nähe ansehen.
ULLA: Warte! Ich komme mit!

Türen / Vögel
Schritte

BENNO: Da. Da drüben ist alles weggeschwemmt worden. Na, das war der Regen heute nacht.
ULLA: Bitte sei vorsichtig. Geh' nicht zu nah an die Kante!
BENNO: Da unten liegt die Brücke! Ein einziger Trümmerhaufen.
ULLA: Und was nun?
BENNO: Ja ... es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als zum Schloßhotel zurückzukehren.
ULLA: Nein, nicht dahin ...
BENNO: Na, wir müssen den Alten informieren. Er muß die Polizei anrufen! Hier müssen Warnschilder aufgestellt werden.
ULLA: Ja, natürlich ...
BENNO: Außerdem muß Wagner uns sagen, wie wir fahren können. Ich will jedenfalls hoffen, daß es noch 'ne andere Straße gibt.
ULLA: Und - wenn nicht?
BENNO: Was wenn nicht?
ULLA: Ich meine ... wenn es keine andere Straße gibt?
BENNO: Also, daran brauchen wir noch nicht zu denken. Hoffentlich ist Frau Bentien noch nicht mit ihrem Wagen unterwegs. Komm, steig ein.

Schritte

Musik

WAGNER: Wenn die Brücke weg ist, müssen Sie hierbleiben.
BENNO: Hm.
WAGNER: Es gibt nur die eine Straße.
ULLA: Aber es muß doch eine Möglichkeit geben, von hier wegzukommen!
BENNO: Bitte sei vernünftig, wir müssen warten, bis die Brücke wieder aufgebaut ist.
ULLA: Noch eine Nacht hier?
BENNO: Vielleicht sogar mehrere.
ULLA: Das halt' ich nicht aus.
WAGNER: Ich werde Ihnen erst einmal ein Frühstück machen.
BENNO: Telefonieren Sie gleich mit der Polizei, es eilt.
WAGNER: Sie haben recht.

Schritte
Eine Telefonnummer wird gewählt
Pause

WAGNER: (knurrt)

Eine Telefonnummer wird gewählt
Pause

WAGNER: Die Leitung ist tot.

Der Telefonhörer fällt auf die Gabel

BENNO: Tot?
ULLA: Und da bleiben Sie so ruhig? Es muß doch etwas geschehen!
WAGNER: Ich werde später Warnschilder auf dieser Seite der Schlucht aufstellen. Jetzt mache ich Ihnen zuerst einmal das Frühstück.

Musik

Tür
Schritte

ULLA: Ach, hier in der Bibliothek bist du. Was liest du da?
BENNO: Die Schloßchronik.
ULLA: Du sitzt hier herum und liest. Warum tust du nichts, damit wir von hier verschwinden können?
BENNO: Ich kann nichts tun, ich muß alles dem Alten überlassen. - Warum unterhältst du dich nicht ein bißchen mit Frau Bentien?
ULLA: Du hast recht. Das ist allemal besser, als mich über dich zu ärgern.

Musik

ULLA: Du liest immer noch? Es ist schon fast zwölf Uhr!
FRAU BENTIEN: Wir wollten etwas zu Mittag machen!
BENNO: Ja, ich hab' was Interessantes entdeckt.
ULLA: Was denn?
BENNO: Über die Erscheinung. Hast du Frau -
ULLA: Ich habe Frau Bentien davon erzählt.
BENNO: Hm.
FRAU BENTIEN: Eine eigenartige Geschichte.
BENNO: An der etwas dran zu sein scheint.
FRAU BENTIEN: Meinen Sie wirklich?
BENNO: Ja. Sehen Sie, hier steht es: Im Jahre 1376 verliebte sich Georg, ein Offizier des Grafen Leopold, in die Tochter des Grafen. Was nicht ohne Folgen blieb. Erst kündigte sich ein Kind an, dann kam der Skandal.
FRAU BENTIEN: (lacht) Der Herr Offizier war vermutlich nicht blauen Blutes.
BENNO: So ist es.
ULLA: Und was geschah dann?
BENNO: Der Graf verurteilte seine Tochter zum Tode. Sie sollte unter dem Beil sterben, weil sie Schande über die Familie gebracht hatte.
ULLA: Wie entsetzlich.
FRAU BENTIEN: Hat dieser grausame Mann das Urteil wirklich vollstrecken lassen?
BENNO: Der Graf hat Georg, dem Offizier, befohlen, es zu tun.
ULLA: Georg? Dem Geliebten?
BENNO: Selbstverständlich hat Georg sich gegen dieses Verbrechen gewehrt. Mit dem Degen hat er den Grafen angegriffen. Dabei wurde er von der Schergen des Grafen erst geblendet und dann getötet.
ULLA: Und die Tochter des Grafen?
BENNO: Die schöne Linda konnte zunächst entfliehen, aber der Graf holte sie zurück. Er hat sie irgendwo im Schloß lebendig einmauern lassen.
ULLA: Die schöne Linda? Ich glaube, die Erscheinung rief den Namen Linda. Ja, bestimmt! Es war der Name Linda. Und der Geist fragte: "Wo ist meine Linda?"
FRAU BENTIEN: Soll das alles bedeuten, daß der Geist des bedauernswerten Georg seit diesen schrecklichen Vorfällen hier im Schloß erscheint?
BENNO: Die Schloßchronik behauptet, daß Georg alle hundert Jahre für drei Tage nach seiner Linda sucht.
ULLA: Ach, laß doch mal sehen ...
BENNO: Ich hab' schon alles vorgelesen.
ULLA: Ich möchte es dennoch sehen.
BENNO: Bitte, wenn du unbedingt willst.
ULLA: (blättert) Ja, hier steht es. Für drei Tage ... und wieviele sind jetzt schon um?
BENNO: (ratlos)
ULLA: Kam Georg heute nacht zum erstenmal, oder war es schon das letztemal?
BENNO: Woher soll ich das wissen?
ULLA: Und hier steht ... aber das ist doch ... warum hast du mir davon nicht vorgelesen?
BENNO: Wovon, Liebling?
ULLA: Hier steht geschrieben, daß jedesmal, wenn Georg erscheint, Frauen eines mysteriösen Todes gestorben sind. So war's bereits fünfmal.
FRAU BENTIEN: Glauben Sie etwa, daß dieses Mal ebenfalls ...?
ULLA: Warum sollte es ausgerechnet jetzt nicht so sein? - Benno, ich begreife endlich!
BENNO: Was verstehst du?
ULLA: Warum das Hotel geschlossen ist!
BENNO: Ah - wegen Georg!
ULLA: Selbstverständlich! Die Hotelleitung wußte, was geschehen würde, und sie wollte keine Frauen im Haus haben, damit keine von ihnen verunglückt oder umgebracht wird. Nur der alte Wagner, das Faktotum, blieb zurück. Er ist nicht in Gefahr, denn er ist ein Mann. Aber Frau Bentien und ich, wir sind -
BENNO: Ich bitte dich, Ulla, man muß doch nicht alles glauben, was in solchen Büchern steht.

Klirren / Rumpeln

WAGNER: (schreit)
BENNO: Was war das?
ULLA: Es war nebenan!
WAGNER: Hilfe!
FRAU BENTIEN: Wagner ruft um Hilfe!
WAGNER: Hilfe!
BENNO: Herr Wagner! Herr Wagner, wo sind Sie denn?
WAGNER: Hilfe!
ULLA: Es ist der Kronleuchter! Er ist heruntergestürzt!
BENNO: Herr Wagner!
FRAU BENTIEN: Seien Sie doch mal still!

Leise Schritte

FRAU BENTIEN: Haben Sie die Schritte gehört?
ULLA: Wer ist da?
BENNO: Hallo? Wer ist denn da?
ULLA: Warum antwortet er nicht?
FRAU BENTIEN: Ich sehe niemanden!
ULLA: Aber da kommt doch jemand, das hört man doch!
FRAU BENTIEN: Allerdings.
GEORG: (atmet schwer)
ULLA: Komm zurück in die Bibliothek, Benno. Bitte!
BENNO: Wer ist denn da, zum Teufel!
GEORG: (atmet schwer)
FRAU BENTIEN: Da! Auf der Treppe atmet einer!
BENNO: Schnell! In die Bibliothek!

Schnelle Schritte
Tür

BENNO: Also, so etwas ist mir überhaupt noch nicht begegnet!
FRAU BENTIEN: Ich habe die Schritte ganz deutlich gehört, aber niemanden auf der Treppe gesehen.
ULLA: Benno, geh weg von der Tür.
BENNO: Also, ich frag' mich, ob wir alle spinnen. Vielleicht bilden wir uns das nur ein.
ULLA: Doch nicht alle gleichzeitig!
FRAU BENTIEN: Ich habe noch nie gehört, daß Geister am Tage auftreten!
BENNO: Eben! Wozu gibt es die Geisterstunde zur Mitternacht? Eine Disziplin ist das! Kein Wunder, daß der Graf mit diesem Offizier nicht einverstanden war!
ULLA: Benno, bitte! Bitte keine Witze!
BENNO: Wieso Witze, ich mein' das todernst.
FRAU BENTIEN: Da! Jetzt höre ich die Schritte wieder!

Leise Schritte

GEORG: (atmet schwer)

Klopfen

ULLA: Nicht aufmachen!
BENNO: Ich denke gar nicht dran! Vielleicht hält der Kerl mich für 'ne Frau!
ULLA: Bitte, Benno!
FRAU BENTIEN: Wer ist denn da!?
ULLA: Nichts. Absolut nichts.
FRAU BENTIEN: Warum antwortet er nicht?
BENNO: Georg! Sprechen Sie! Sind Sie es, Georg?
ULLA: Es ist still!
BENNO: Wie lange wollen wir denn noch warten! Ich will es jetzt wissen!
ULLA: Nein, Benno! Nein! Nicht!

Die Tür wird aufgerissen

BENNO: Hier ist niemand. Absolut niemand.
FRAU BENTIEN: Das ist unmöglich. Der Mann muß direkt vor der Tür gestanden haben.
BENNO: (ruft) Hallo? Wo sind Sie?
ULLA: Es war Georg! Am Tage ist er unsichtbar.
FRAU BENTIEN: Ein Unsichtbarer, der uns umbringen will? Das halt' ich nicht aus!
BENNO: Nur keine Aufregung! Vielleicht haben wir uns wirklich getäuscht. Warum sollte Georg sich vor uns verstecken, während er eben noch versucht hat, zu uns zu kommen? Das ergibt doch keinen Sinn!
ULLA: Du kannst wohl kaum von einem Geist erwarten, daß er logisch denkt!
FRAU BENTIEN: Im Jahre 1376 kannte man die Gesetze der Logik wohl noch nicht so genau!
ULLA: Nun fangen Sie nicht auch noch an, Witze zu machen! Ich halte das nicht aus!
BENNO: Also, es hat keinen Sinn, hier rumzustehen. Wir werden nach Wagner suchen, der hat um Hilfe gerufen. Natürlich bleiben wir zusammen. - Wagner! Herr Wagner, hören Sie mich!
WAGNER: Hilfe! Hört mich denn keiner!
FRAU BENTIEN: Das kam von unten.
ULLA: Komisch.
FRAU BENTIEN: Wir müssen unten nachsehen.
BENNO: Also gut. Gehen wir nach unten.
ULLA: Ja ...

Schritte auf Treppe

ULLA: Vielleicht steckt Wagner mit ihm unter einer Decke.
BENNO: Unmöglich. Dann hätte er bestimmt nicht versucht, uns abzuweisen.
FRAU BENTIEN: Wer sagt denn das! Vielleicht handelt Wagner nicht aus eigenem Antrieb, sondern wird dazu gezwungen, gemeinsames Spiel mit Georg zu machen. Es könnte doch sein, daß er sich dagegen wehrt, aber dem stärkeren Willen immer wieder unterliegt!
BENNO: Möglich ist alles.
WAGNER: Hilfe!
ULLA: Wagner!
WAGNER: Hier!
ULLA: Wagner, wo sind sie?!
WAGNER: Hier bin ich!
BENNO: Das kam von dort.
FRAU BENTIEN: Nein!
WAGNER: So helfen Sie mir doch ...
FRAU BENTIEN: Nein, von ... von da drüben ...
WAGNER: Hilfe!
ULLA: Ich glaube, es kam aus dem Keller!
WAGNER: Hilfe!
BENNO: Sehen wir erst mal hinter der Holztür dort nach.

Tür wird geöffnet
Ein leeres Gefäß fällt auf den Boden

ULLA: (erschrickt)
BENNO: Nur 'ne Vorratskammer.
ULLA: Wo ist denn Frau Bentien?
BENNO: Wieso, die war doch eben noch bei uns.
ULLA: Ja, jetzt ist sie aber weg!
BENNO: Verdammter Mist. Warum kann denn die alte Ziege nicht bei uns bleiben!
ULLA: Benno, wenn sie das hört!
BENNO: Na, ist doch wahr, es war ausgemacht, daß wir zusammenbleiben. Jetzt sucht sie auf eigene Faust.
ULLA: (ruft) Frau Bentien!
BENNO: (ruft) Hallo! Wo stecken Sie denn!?

Musik

BENNO: Sie muß doch hier irgendwo sein.
ULLA: Wie vom Erdboden verschluckt.
BENNO: (ruft) Frau Bentien, melden Sie sich doch!
ULLA: Nichts.
BENNO: Jetzt reicht's mir aber. Nicht nur der alte Wagner ist verschwunden, sondern die auch noch. Was ist denn bloß mit diesem Haus los?
FRAU BENTIEN: (schreit)
ULLA: (erschrickt)

Rumpeln

BENNO: Was war das?
ULLA: Vielleicht ist sie gestürzt!
BENNO: (ruft) Frau Bentien?
ULLA: Da drüben muß es gewesen sein. Im Treppenhaus.
BENNO: Komm, wir sehen nach.
ULLA: Ja ...
BENNO: Gib mir deine Hand, daß du mir nicht auch noch abhanden kommst.
ULLA: Ja ...

Schritte
Tür wird geöffnet

ULLA: Oh mein Gott. Die arme Frau Bentien.
BENNO: Sie muß die Treppe runtergefallen sein.
ULLA: Ist sie ... tot?
BENNO: Frau Bentien? So sagen Sie doch was!
ULLA: Benno! Benno, sie ist tot!
BENNO: Ja. Sie muß sich das Genick gebrochen haben.
ULLA: (verzweifelt) Warum laufen wir nicht endlich weg?
BENNO: Wohin denn?
ULLA: Ach, irgendwohin! Ganz egal! Ich will nur hier raus aus diesem Schloß! Ich will nicht sterben, verstehst du? Es hätte mich genauso erwischen können wie sie. Und nun bin ich die einzige Frau im Haus. Ich bin das nächste Opfer, wenn wir bleiben.

Gitter werden herabgelassen

ULLA: Was war das?
BENNO: Ich weiß nicht.
ULLA: Es ... es hörte sich an, als ob Gitter heruntergelassen worden wären.
BENNO: Wer sollte das gemacht haben?
ULLA: Das ist mir völlig egal! Ich will raus!
BENNO: Komm!
ULLA: Ja ...

Schnelle Schritte
Benno rüttelt an den Eisenstäben

BENNO: Gitter! Jemand hat Gitter vor der Tür heruntergefahren! Wir können nicht mehr nach draußen!
ULLA: Wir klettern durch die Fenster. Schnell, laß es uns versuchen!

Mehrere Fenster werden geöffnet, Benno rüttelt jedesmal an den Eisenstäben

BENNO: Sieh dir das an! Hier ... und hier ... und hier!
ULLA: (seufzt)
BENNO: Überall eiserne Jalousien! Die waren doch vorher noch nicht!
ULLA: Wir sind gefangen!
BENNO: Komm, gib noch nicht auf, Liebes. Noch ist nicht aller Tage Abend.
ULLA: Was können wir denn tun? Verstehst du denn nicht, was das bedeutet? Wer auch immer dafür verantwortlich ist, daß wir hier sitzen, er will mich! Er will mich umbringen!
BENNO: Ich bin ja auch noch da!
WAGNER: Hilfe! Hilfe!
ULLA: Was war das?
BENNO: Das muß der alte Wagner gewesen sein!
WAGNER: (schreit) Hilfe!
ULLA: Was geht mich Wagner noch an?
BENNO: Es kam aus dem Keller, ich bin ganz sicher!
ULLA: Ich geh' nicht in den Keller.
BENNO: Wir müssen!
ULLA: Wir müssen? Nichts müssen wir, überhaupt nichts!
BENNO: Ich hab' mir alles genau überlegt, Ulla. Wir haben nur eine einzige Chance.
ULLA: Was für eine ...?
BENNO: Wir müssen das Problem lösen!
ULLA: Das Problem? Ich versteh' nicht.
BENNO: Aber dabei ist es doch so einfach ... Erinnerst du dich: Georg verlor sein Augenblick, bevor er starb. Seine Geliebte Linda wurde eingemauert.
ULLA: Ja, ich weiß. Was willst du damit sagen?
BENNO: Georg findet keine Ruhe, weil er ewig auf der Suche nach Linda ist. Er sucht ihr Grab, er sucht sie! Wenn wir ihm helfen, die Gruft zu finden, in der die sterblichen Überreste Lindas liegen, dann wird er vielleicht erlöst.
ULLA: Aha ...
BENNO: Dann findet er vielleicht die Ruhe, nach der er sich sehnt. Dann ist die Gefahr für dich behoben!
ULLA: Woher willst du das wissen?
BENNO: Ich weiß es nicht, ich vermute es. Und ich sage mir, daß es immer noch besser ist, etwas zu tun, als einfach nur abzuwarten, bis wieder was geschieht!
ULLA: Also gut. Überlegen wir. Wo könnte die Gruft sein?
BENNO: Also, bestimmt nicht hier oben.
ULLA: Du meinst, sie ist im Keller.
BENNO: Davon bin ich fest überzeugt.
ULLA: Ausgerechnet im Keller. Das kommt mir wie eine Falle vor.
BENNO: Warum?
ULLA: Der Keller gefällt mir nicht!
WAGNER: Hilfe! Hört mich denn keiner!
BENNO: Das ist Wagner! Er ist im Keller!
ULLA: Das meine ich ja! Es ist, als ob er uns in den Keller locken will!
BENNO: Wir können natürlich auch erst das Haus absuchen, aber ... ich glaube nicht, daß der Graf seine Tochter hier oben eingemauert hat.
ULLA: Also gut. Wenn du unbedingt willst, gehen wir in den Keller. Aber wohl ist mir dabei nicht.
BENNO: Also, wenn wir aufpassen, kann uns eigentlich nicht viel passieren.
ULLA: Das hat Frau Bentien auch gedacht.
BENNO: Hm. Da hast du recht.

Musik

Schritte

ULLA: Es gibt mehrere Keller! Dahinten ist noch eine Tür!
BENNO: Hm.
ULLA: Und da auch!
BENNO: Wir werden alle der Reihe nach überprüfen.
ULLA: Da drüben muß der Weinkeller liegen. Wagner sagte so was.
BENNO: Wagner ... wo mag der Kerl stecken? - (ruft) Herr Wagner? Hören Sie mich? Wo sind Sie?
ULLA: Hörst du etwas?
BENNO: Hm. Es ist alles still.
ULLA: Aber die Stimme kam doch von hier. So hörte es sich jedenfalls an.
BENNO: (ruft) Herr Wagner! Wo sind Sie?
WAGNER: (näher) Hier bin ich!
ULLA: Hast du's gehört?
BENNO: Ja.
WAGNER: Helfen Sie mir!
BENNO: Es war Wagner. Ich hab' seine Stimme erkannt.
ULLA: Es muß dort hinten, hinter der Eisentür sein.
BENNO: Wir sehen mal nach.

Schritte
Tür wird geöffnet

BENNO: Hallo, Herr Wagner? Wo sind Sie?
ULLA: Alles voller Wein. Hier lagern einige tausend Flaschen.
BENNO: Wir können ja 'ne Probierstunde einlegen. Danach geht uns Georg vielleicht nicht mehr so auf die Nerven.
ULLA: Ach, sei doch bloß still.
BENNO: (ruft) Herr Wagner!

Musik

GEORG: (ruft von fern) Linda ...!
ULLA: Benno! Hast du die Stimme gehört?
BENNO: Da war keine Stimme, das war der Wind! Hörst du, wie der Wind ums Haus heult?
ULLA: Laß uns umkehren! Laß uns wieder nach oben gehen!
BENNO: Der Wagner muß doch hier irgendwo sein!
GEORG: (von fern) Linda!
ULLA: Da war's wieder!
GEORG: (von fern) Wo bleibst du ...?
ULLA: Eine Stimme! Ich habe sie ganz deutlich gehört!
BENNO: Du irrst dich, Ulla, da war nichts!
GEORG: Linda ...! Du bist hier, ich spüre es! Du bist ganz nah!
ULLA: Du mußt es doch gehört haben, Benno!
BENNO: Ja, ich - Verdammt, ja, ich hab's gehört.
ULLA: Wo willst du hin? Bleib' hier!
BENNO: Keine Angst, ich lauf' nicht weg, mir ist nur eingefallen, daß da draußen noch die Axt steht, mit der Wagner die Tür eingeschlagen hat.
ULLA: Wart' auf mich! Ich komme mit!

Schritte

BENNO: Nun übertreib' nicht! - Hier ist die Axt ja schon.
ULLA: Benno!

Die Tür knarrt

ULLA: Benno, die Tür! Die Tür!

Die Tür fällt knarrend und quietschend ins Schloß

ULLA: (schluchzt)

Musik

Ulla rüttelt an der Klinke

ULLA: (stöhnt) Benno! Benno, mach auf! Mach die Tür wieder auf!
BENNO: Ich kann nicht! Der Riegel klemmt! Verdammt, es geht nicht!
ULLA: Du mußt die Tür aufmachen! Schnell! Schnell!
BENNO: Es geht nicht!
GEORG: (nah) Linda!
ULLA: (schreit)
GEORG: Linda ...
BENNO: Ulla! Was ist los!?
GEORG: (atmet schwer)
ULLA: (schluchzt und keucht)
BENNO: Ulla, so sag' doch was! Was ist los?
GEORG: (atmet schwer)
ULLA: Georg ... es ist Georg. Ich kann ihn sehen. Er kommt auf mich zu!
GEORG: Warum hast du Angst vor mir? Bleib', Linda!
ULLA: Nein!
GEORG: Linda!
ULLA: Nein!
GEORG: Linda ...
BENNO: Ich versuch', die Wand einzuschlagen!
GEORG: Bleib' doch!
ULLA: (schreit)
GEORG: (atmet schwer)
BENNO: Lauf weg! Lauf, soweit du kannst!
ULLA: Hilfe!
GEORG: (atmet schwer)
BENNO: Wirf mit Flaschen nach ihm!
ULLA: (stöhnt) Sie fliegen durch ihn hindurch, Benno!

Flaschen fallen auf den Boden und klirren

ULLA: Hilf mir doch! Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht mehr ...
BENNO: Ich hab' es gleich geschafft!
GEORG: (atmet schwer)
ULLA: Nein! Ich ertrag' es nicht! Nein! Nein, bitte - (wimmert)
BENNO: (stöhnt)

Gestein bröckelt

BENNO: Zurück, Georg! Zurück!
GEORG: Was ist denn?! (atmet schwer)
BENNO: Es ist nicht Linda! Deine Linda ist hier! In der Gruft! Ich sehe sie! Spürst du nicht, daß sie hier ist?
GEORG: Ja! Linda! (laut schreiend) Linda !!!
ULLA: (schluchzt)
BENNO: Er ist weg. Einfach weg. Ulla, beruhige dich. Er ist fort.
ULLA: Seine Hände waren so kalt. Er wollte mich erwürgen. Es war entsetzlich.
BENNO: Nun ist ja alles gut. Das Gespenst ist weg. Georg hat seine Ruhe gefunden.
ULLA: Er ist weg?
BENNO: Ja. Ich konnte die Eisentür nicht aufbrechen. Deshalb zerschlug ich die Wand. Und dabei hab' ich auch die Gruft geöffnet, in der Linda eingemauert worden war. Ich konnte ihre Gebeine sehen.
ULLA: Wo?
BENNO: Komm, ich zeig's dir! Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Georg wird dich nicht mehr belästigen.

Schritte

BENNO: Hier. Hier ist die Gruft.
ULLA: Ich sehe nichts als Staub.
BENNO: Seltsam. Vor wenigen Sekunden lag hier noch ein Skelett, ich hab's deutlich gesehen! Jetzt ist hier nur noch Staub übriggeblieben.
ULLA: Man kann noch sehen, daß da ein Skelett war. Aber die Spuren verschwinden.
BENNO: Komm. Wir gehen nach oben. Georg wird keine Frauen mehr in den Tod jagen.
ULLA: Arme Frau Bentien. Georg muß sie so erschreckt haben, daß sie die Treppe heruntergestürzt ist.

Musik

ULLA: Hier oben sieht plötzlich alles heller aus.
BENNO: Die Wolken hängen nicht mehr so tief, die Sonne kommt durch, das ist alles.
ULLA: Sieh doch! Die Eisengitter vor den Fenstern sind verschwunden!
BENNO: Das kann doch gar nicht angehen!

Tür wird geöffnet
Vogelgezwitscher

BENNO: Tatsächlich. Die Gitter sind verschwunden! Wir können nach draußen gehen!
ULLA: Ich fühle mich wie neugeboren!
BENNO: (seufzt)
ULLA: Wer mag die Gitter wieder hochgezogen haben?
BENNO: Keine Ahnung, Liebling.
ULLA: Wo mag Wagner stecken? Wir müssen nach ihm suchen. Vielleicht steckt er irgendwo im Keller und kann sich nicht regen.
BENNO: Ich werd' nach ihm sehen. Von Georg droht ihm ja keine Gefahr mehr.

Pferdegetrappel

ULLA: Du, da kommt jemand!
BENNO: Reiter.
ULLA: Das ist Wagner!
BENNO: Ein Polizist ist bei ihm!
ULLA: Wieso kommt Wagner auf einem Pferd? Er dachte, er ist im Keller! Das ist doch gar nicht möglich!
BENNO: Glaub' nur nicht an Spukgeschichten, dieses Mal ist es bestimmt keine!
ULLA: Aber wir haben doch vorhin die Stimme von Wagner gehört!
BENNO: Ja, allerdings.
POLIZIST: Hallo! Ich sehe, Sie sind wohlauf.

Die Pferde halten

WAGNER: (knurrt)
BENNO: Frau Bentien ist es leider nicht. Sie ist die Treppe herunter gestürzt.
ULLA: Sie ist tot.
WAGNER: Tot?
POLIZIST: Wir werden das untersuchen.
BENNO: Wo kommen Sie her?
POLIZIST: Aus dem Dorf. Wagner ist über den Berg geklettert und hat mich geholt.
BENNO: Er war bei Ihnen?
POLIZIST: Seit einigen Stunden, ja.
ULLA: Es gibt scheinbar doch mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt.
BENNO: Also, wir hätten schwören können, daß Wagner hier im Schloß war!
POLIZIST: Ausgeschlossen!
WAGNER: Noch heute wird eine provisorische Brücke gebaut. Sie können abreisen, sobald die Sache mit Frau Bentien geklärt ist.
ULLA: Jetzt haben wir es nicht mehr so eilig. Lassen Sie sich ruhig Zeit mit der Untersuchung, Herr Kommissar.
POLIZIST: Das werde ich. Warten Sie hier.
BENNO: Herr Wagner! Wie wäre es, wenn das Hotel eine gute Flasche Wein ausgeben würde? Also, ich denke, auf den Schrecken haben wir eine verdient!
ULLA: (lacht)
WAGNER: Ich werde Ihnen eine besonders gute Flasche holen.
ULLA: Gehen Sie noch nicht, Herr Wagner. Ich hab' noch eine Frage.
WAGNER: Ja? Bitte?
ULLA: Wußten Sie etwas von dem Gespenst?
WAGNER: Gespenst? Was für ein Gespenst?
BENNO: Na, jedes anständige Schloß hat sein Gespenst. Ihres etwa nicht?
WAGNER: (lacht) Gespenst? Sie glauben doch wohl nicht wirklich an Gespenster! Oder doch?! (lacht) Gespenster! Gespenster! (lacht)

Musik setzt ein

ULLA: Ich sage dir, der Mann lügt wie gedruckt!

Musik

 

Klar erkennbare Unterschiede zwischen beiden Versionen:

• In der neueren Version, "Das Schloß des Grauens", fehlt Ullas Schlußsatz. Ob dies aus technischen Gründen (die Schlußmusik wurde ausgetauscht) geschah, oder ob man dem Hörer diesen letzten erzählerischen Kniff der Einfachheit halber ersparte, ist unklar. Schade ist es auf jeden Fall.
• Für "Das Schloß des Grauens" wurden diverse (aber nicht alle) Musiken ausgetauscht. Spannende Szenen, die in "Das Gespenst vom Schloßhotel" alleine auf das durch den Dialog vermittelte Geschehen aufbauten, wurden zusätzlich mit Melodiebögen angereichert. Brach der Bibliothek-Dialog am Ende der ersten Seite einfach ab ("Wo ist meine Linda?") und wurde er auf der zweiten Seite unmittelbar fortgesetzt ("Soll das alles bedeuten ..."), so finden sich im "Schloß des Grauens" Musiken zur Kennzeichnung des Endes bzw. des Anfangs der Szene.
• Außerdem wurden die Stimmen an den meisten Orten im Schloß nachträglich mit Hall versehen.


© Transkription & Umsetzung in HTML: Sven Haarmann (7. Februar 1999)